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Ein Zeitzeuge berichtet..

Herr Edgar Vogel, Geburtsjahrgang 1925, wurde vom Geschichtslehrer Martin Nicoly gebeten, seine Jugend im Nationalsozialismus so zu schildern, wie er sie seinerzeit erlebt hatte und zunächst auf Kommentierung aus heutiger Sicht zu verzichten. Vor allem die Schüler der Vorstufe der Berufsoberschule, in der Mehrheit gediente Wehrpflichtige oder Zeitsoldaten, sollten aber stets die Möglichkeit haben nachzufragen, um sie interessierende Fakten, damalige und heutige Einstellungen von Herrn Vogel zu erfahren.

Seine Jugend in Kürze...

Entbehrungsreiche Jugend wegen der Arbeitslosigkeit des Vaters, Zeuge der Hungerdemonstrationen und Schlägereien der Parteimilizen vor 1933. Endlich Anstellung des Vaters, dessen erster Lohn führte zur ersten Schokolade für die Kinder, blinde Führergläubigkeit durch zunehmenden Wohlstand und einseitige Schulung und Abhärtung im Jungvolk der Hitlerjugend.

1942 freiwilliger Eintritt als 17 Jähriger in die Wehrmacht. Später auch Mitglied der Panzerdivison 'Windhund'. 'Windhund' galt als Elitedivison, war nur ausgesuchten Freiwilligen zugänglich und wurde als Art Feuerwehr in besonders gefährdeten Frontabschnitten eingesetzt. Die Verlustrate war daher extrem hoch.

Erster miltärischer Einsatz 1942 im Afrikakorps Rommels - Entkommen mit dem Generalstab aus Tobruk über Tripolis nach Sizilien 1943 im Innern eines von alliierten U-booten gejagten Transportschiffes. Abwehrkämpfe in Süditalien gegen US Invasionstruppen, Bajonettstich im Nahkampf in der größten Materialschlacht des 2. Weltkrieges am Monte Cassino. Nach der Genesung Einsatz am Atlantikwall in der Normandie, Invasionsabwehrkämpfe 1944, letzte erfolgreiche Schlachten bei Arnheim und in der Ardennenoffensive. Zuversicht, die Amerikaner wieder aus Europa zu vertreiben. Aufklarendes Wetter ermöglichte jedoch den Einsatz von tausenden US Bombern.

Amerikanische Kriegsgefangenschaft, Auslieferung nach Frankreich, Einsatz in der Landwirtschaft, Fluchtversuch, Arbeits-und Straflager, Arbeit im Bergwerk. Erst die Flucht aus Belgien gelingt. Abenteuerliches Durchschlagen zur Verlobten 1947 nach Mönchengladbach.



Auszug von Antworten auf Schülerfragen:

Vernichtungslager und Greueltaten
Keine Kenntnis von Vernichtungslagern. Er danke Gott, dass er nie zu Massenerschiessungen abkommandiert wurde. Aus seiner Division wurden 1944 Einzelne abkommandiert, die an den Geiselerschießungen in den Adreanitischen Höhlen bei Rom teilnahmen. Er wüßte nicht, ob er in die Luft oder nicht geschossen hätte. Berichte über die KZs habe er noch nach dem Krieg für Feindpropaganda gehalten.

Mythos Rommel
Dem Mythos um Generallfeldmarschall Erwin Rommel, dem er auch einmal persönlich begegnete und mit einer Zigarette bedacht wurde, könne er nichts abgewinnen. Zwar zeigte sich dieser leutselig und war auch oft an vorderster Front zu sehen, aber er verheizte rücksichtslos die Soldaten. Um stärkere Truppen vorzutäuschen wurden leere Blechtonnen mit Steinen gefüllt und auf den Lastwagen nachts lautes Scheppern erzeugt.

Fremdenlegion
Amerikaner unterstützten in den Gefangenenlagern die Anwerbung von Fremdenlegionären durch die Franzosen, die vor den ausgehungerten Gefangenen mit Brotlaiben und Würsten ums Lager zogen. Tausende verloren in Indochina ihr Leben.

Sturz Mussolinis 1943
Es erfolgte der Auftrag, italienische Truppen zu entwaffnen. Mit zwei Panzern gelang es nach einem gezielten Warnschuss etwa 2000 Mann gefangen zu nehmen, die nicht mehr kämpfen wollten. Die Haltung der Italiener war zwar nicht mutig aber nachträglich gesehen um vieles klüger als die eigene. Hätte beispielsweise der Hitlerputsch 1944 Erfolg gehabt, als ein Großteil der deutschen Städte noch intakt war, wäre Deutschland viel erspart geblieben.

Selbstverständnis als Deutscher
Er habe kein Problem damit und sei auf seine Nationalität stolz. Auf die Frage was er von Neonazis halte: ‚Einsperren'.

Befreiung durch die Amerikaner und Dankbarkeit
Zwar verdanke man den Amerikanern die Befreiung vom Hitlerregime, aber Freiheit für das unterlegene Deutschland war kein Kriegsziel. Demokratisierung und Wiederaufbau waren vielmehr Nebenprodukt des beginnenden Kalten Krieges zwischen den USA und der Sowjetunion. Zunächst wurden Ideen wie der Morgenthauplan erwogen, Deutschland in eine Art Lüneburger Heide mit rein landwirtschaftlicher Bevölkerung zu verwandeln. Der Kalte Krieg brachte aber schnell teils zu lebenslänglich verurteilten Großindustriellen die Freiheit, und auch Altnazis saßen bald mit an den Schaltstellen der neuen Republik. Man brauchte ein Bollwerk gegen die Sowjetunion.

Innere Einstellung als Landser
Kein Heimaturlaub und keine neutrale Information. Gedrillter Kämpfer bis in die Zehenspitzen. 'Der Führer war für ihn wie der Herrgott'.

Ungleiche Chancen erkannt angesichts der ungeheuren US Materialüberlegenheit und der mit US Gerät ausgestatteten Roten Armee im Osten. Sein Ehrgeiz: neben Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse als Panzerfahrer noch das Ritterkreuz zu erwerben. Fahnenjunker zum Kriegsende. Die erhaltene Erziehung und Weltanschauung wirkten nach bis nach dem Krieg. Erst mit der Demokratie begann für ihn das Erkennen und Umdenken.

Selbstjustiz der Landser
Ihm sei nur ein Fall bekannt, wo ein Unteroffizier, der als übler Schleifer verhaßt war, von der Truppe in einem Angriff mit Kopfschuß von hinten liquidiert wurde.

Bundeswehr und europäische Armee
Überzeugung, dass die Bundeswehr nur zur Verteidigung eingesetzt werden darf und nichts im Ausland zu suchen hat. Eine europäische Armee sei sicher sinnvoll, um Europa mehr Gewicht zu verleihen. Zudem wäre es gut, wenn die Amerikaner die Grundsätze der Demokratie und Völkerrechts, die sie ihm als Kriegsgefangenen 1945 im Umerziehungslager beibrachten, heute selber beherzigten. Wer nichts aus der Geschichte gelernt habe, sei bekanntermaßen dazu verurteilt, sie nochmals durchzumachen.

Er gehöre dem ‚weißen Jahrgang' 1925 an und sei heute der letzte Überlebende seiner etwa 30köpfigen Klasse. 1954 lebten noch 8 ehemalige Klassenkameraden.

Ohne Hilfe Gottes, so Edgar Vogel, hätte er das alles nicht überstehen können. Er danke Gott, dass er in der Lage sei, dies alles den Schülern vortragen zu können.

Mit einem opulenten von den Schülern gespendeten Frühstück und einem großem Dankeschön bedankten sich Schulleiter Herr OStD Müller, Schüler und Fachlehrer bei Herrn Edgar Vogel für die Einblicke in die Vergangenheit. Auch Herr Vogel hat sich sehr über das Interesse gefreut. Man darf auf die Fortsetzung zum Thema Aufbaujahre der Bundesrepublik gespannt sein.

Martin Nicoly, 21.5.2003

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